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Komplexität verstehen und beherrschen: Variantenmanagement

Ein Beispiel zu Kapitel 6 des Buchs Komplexität verstehen, beherrschen, gestalten von Harald G. Grohganz

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Variantenmanagement

Das Thema »Komplexitäts- und Variantenmanagement« ist eng mit der Automobilindustrie verbunden. Ihre Produkte haben in den letzten Jahrzehnten eine immer stärkere Personalisierung erfahren, gleichzeitig ist die technische Komplexität kontinuierlich gewachsen, sodass sich hier zuerst die Notwendigkeit ergab, die ausufernde Varianz in den Griff zu bekommen.

Dabei sind zwei Größen entscheidend: Zum einen die Vielzahl möglicher Varianten eines Bauteils, wie etwa eines Lenkrads, zum anderen die Menge der Fahrzeuge, in der jede einzelne Variante verbaut worden ist. Die Varianz hängt dabei essentiell von den angebotenen Ausstattungen ab – so können viele Systeme im Fahrzeug direkt vom Lenkrad aus gesteuert werden, also muss jede mögliche Kombination von Fahrassistenz- und Komfortsystemen bei der Entwicklung der notwendigen Lenkräder berücksichtigt werden. Dieses Beispiel ist natürlich stark vereinfacht und kann nur zur einer groben Illustration der deutlich komplexeren Realität dienen – aber auch dort kommt es darauf an, die Komplexität soweit zu vereinfachen, um sie beherrschen zu können...

Visualisierung durch Variantenbäume

Ein Variantenbaum ist eine im Variantenmanagement häufig zu findende Darstellung, um den Nutzen der einzelnen Varianten zu verdeutlichen. Analog zum bekannten Entscheidungsbaum verzweigt sich die Gesamtmenge (ganz links) durch aufeinander folgende Entscheidungen bis hin zu den einzelnen Varianten (ganz rechts). Die verschiedenen Ebenen des Baums entsprechen dabei den für die Teilevarianz maßgeblichen Ausstattungsoptionen. Ihre Reihenfolge ist grundsätzlich beliebig, die Ordnung der Baumebenen ist daher grundsätzlich frei wählbar.

Die Stärke der Äste im Baum ist – analog zum Sankey-Diagramm – proportional zur Anzahl der Fahrzeuge mit einer gewissen Ausstattung, sodass auf einen Blick die häufig vorkommenden Ausstattungen von seltenen unterscheidbar sind. Nicht vorkommende Varianten, so genannte »No-Runner«, können z.B. durch gestrichelte Linien dargestellt werden.

Ausstattungs-Varianten

Jede mögliche Kombination von Ausstattungen führt zu einem eindeutigen Pfad im Baum. Werden mehrere Ausstattungen von demselben Teil bedient, so taucht das Teil folglich auch mehrfach im Variantenbaum auf. Der Baum ist also ein Entscheidungsbaum – in jedem Feld steht genau ein Wert, so wie in jedem Fahrzeug pro Ebene nur eine Option gewählt werden kann. Im untenstehenden Beispiel gibt es eine Ausnahme in der letzten Zeile, in der ein No-Runner dargestellt wird. Da dieser eben gerade keine gewählte Ausstattungskombination darstellt, findet auch keine Auffächerung des Baums statt, sondern alle möglichen Bedingungen werden zusammengefasst und somit tauchen mehrere Ausstattungsvarianten im selben Feld auf.

Umgekehrt tauchen an einigen Kombinationen mehrere Teile auf – das zeigt mehrere Generationen von Teilen, bei denen die früheren Teile irgendwann abgekündigt und durch neue Teile ersetzt worden sind. Die Aufteilung erfolgt hier aufgrund der Eigenschaft »Zeitraum«. Diese taucht im Baum nicht als eigene Ebene auf, sondern ist durch Klick auf den Button erreichbar: Das rechts vom Baum gezeichnete Balkendiagramm wird durch ein Gantt-Diagramm ersetzt, in dem die Verbauhäufigkeiten pro einzelnem Zeiträume angegeben werden.

Teile-Varianten

Hier ändert sich die Betrachung: Die Varianz der Teile ist nun relevant, man möchte den Baum zum Zählen der unterschiedlichen Teile verwenden. Daher soll jedes Teil nur einmal im Variantenbaum auftauchen, unabhängig davon, wie viele verschiedene Konfigurationen von einem Teil bedient werden. Deckt ein Teil also mehrere Varianten ab, so erscheinen die dafür möglichen Konfigurationsmöglichkeiten in einem zusammengefassten Feld, analog zu dem No-Runner im ersten Beispiel. In untenstehendem Beispiel ist diese Zusammenfassung von Varianten bei dem Merkmal »Einparkhilfe« für die Varianten »Lenkrad 1«, »Lenkrad 2« und »Lenkrad 1 neu« zu sehen.

Datengrundlage

Die Variantenbäume werden aus tabellarischen Daten generiert. Dabei sind die Ausgangstabellen noch nicht zur Erstellung der Visualisierungen geeignet, sondern müssen aufbereitet werden. Die genaue Form der Aufbereitung hängt stark von den konkreten Daten ab, hier gehen wir exemplarisch von idealen Bedingungen und einer sehr geringen Steuerungskomplexität aus.

Im praktischen Einsatz fällt hier mit Abstand die meiste Arbeit an: Einen Variantenbaum zu zeichnen ist nicht schwierig, sondern die hochgradig individuellen Prozesse sowohl in der Fachlichkeit als auch in der verwendeten Technik nachzuvollziehen und diese Komplexität angemessen zu reduzieren, das ist die eigentliche Herausforderung im Variantenmanagement. Das Ziel, den Fachexperten Erkenntnisse und datengestützte Entscheidungen zu ermöglichen, wird erst durch das Zusammenspiel von geschickter Algorithmik und intuitiver Visualisierungstechniken wie dem oben vorgestellten Variantenbaum erreicht.

Ausgangstabellen

Die folgenden Tabellen stellen eine idealisierte Form von operativ genutzten Tabellen dar: Die Teileliste kann beispielsweise aus einer Stückliste berechnet werden, indem mehrere Steuerungsmechanismen zusammengefasst werden und die steuernden Merkmale explizit aufgespalten werden. Die Liste der Zeiträume wird durch Abstraktion der zeitlichen Steuerung aus der Stückliste generiert. Die Ausstattungsliste lässt sich analog zur Teileliste mittels Zusammenfassen der Verkäufe innerhalb der berechneten Zeiträume etwa aus einem Vertriebssystem gewinnen.

Für den obenstehenden Beispiel-Variantenbaum könnten diese Ausgangstabellen etwa wie folgt aussehen:

Stücklisten (aggregiert)

Zeiträume

Ausstattungsliste (aggregiert)

Visualisierungstabellen

Mit den obigen Tabellen lässt sich noch kein Variantenbaum zeichnen. Daher werden weitere Tabellen aus den obigen Ausgangstabellen berechnet, die dann ihrerseits die Grundlage für die Baum-Visualisierungen darstellen. Wären alle steuernden Merkmale im Baum vorhanden, so entspräche jedes Blatt im Baum genau einer Tabellenzeile. Da im obigen Baum die Zeitinformationen zusammengefasst werden, gibt es mehr Tabellenzeilen als Blätter im Baum. Über die Hilfsspalte _idx kann nachvollzogen werden, welche Zeilen bei der Teile-Varianz zusammengefasst werden.

Bei den Ausstattungen beschreibt jede Zeile genau eine Konfiguration und gibt die Anzahl der dazugehörigen Fahrzeuge an. Man beachte die letzten beiden Zeilen – diese beschreiben No-Runner-Ausstattungen und wurden aus der obigen aggregierten Stückliste berechnet. Analog zum Baum oben beschreibt in den Teilelisten jede Zeile ein Teil – es können also mehrere Ausstattungsvarianten in einer Zeile zusammenfallen.

Durch Überfahren mit der Maus werden die jeweiligen Zeilen in der anderen Tabelle hervorgehoben. Bei einer grün hervorgehobenen Zeile werden alle Informationen aus der ausgewählten Zeile gewonnen, bei gelben Hervorhebungen wird die markierte Zeile mit weiteren (nicht markierten) Zeilen zusammengefasst.

Fahrzeuge pro Ausstattungs-Kombination

Fahrzeuge pro Teil